Georg Friedrich Zundel

Arbeiter-Jugend

04.07.1910

Ein sozialistischer Künstler.
Von Otto Krille.

Unter dem Druck der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist es dem Proletarier selten vergönnt, einen Trunk aus den Quellen gesunder, verjüngender Kunst zu tun, obschon der Kunstgenuss in hohem Maße zu den Bedürfnissen des Lebens gehört, zu jenen, die nicht erst der Kulturfortschritt geweckt hat, sonder die bereits zu dem primitiven Dasein des Urmenschen sich äußerten. Von der Freude des Wilden am Schmuck seines Körpers oder an den Umrissen des Tieres, die er mit hartem Stein in die Wände seiner Höhle ritzte, bis zu den mannigfaltigen Gefühlen, mit denen wir heute vor den Gemälden moderner Maler stehen, ist nur ein Unterschied in der Art, kaum in der Intensität des Kunstgenusses vorhanden. Doch die Spanne der Entwicklung die zwischen einem naiven Wandgemälde aus den Höhlen des Begèretals*) in Frankreich, dem“diluvialen Pompeji“, und etwa einem solchen von Klinger liegt, hat auch Kunstbetrachtung und Kunstgenießen bis zum Raffinement verfeinert. Es gehören heute zum restlosen Erfassen eines Kunstwerkes auch verschiedenerlei Bildungselemente, nicht nur geschultes Hören und Sehen, Farbempfindungen, Linien- und Formgefühl, und auch diese Vorbedingungen können sich erst zu jenem notwendigen Grad entwickeln in Uebung, in Gemeinschaft mit künstlerischen Dingen, von denen der Proletarier von Jugend aus getrennt ist. Das trifft für die moderne Kunst zu, um wievieles aber mehr für die historische? Das Stoffliche an einem Kunstwerk, der Vorgang auf einem Gemälde, der Gegenstand eines Bildwerkes führt selten allein zu seiner künstlerischen Wesenheit. Das, was wir den Stil des Künstlers nennen, ist nicht nur das Produkt seiner technischen Art, beim Maler Farbengebung und Pinselführung, sondern auch Ausfluß seiner Weltanschauung, die ihn, wenn auch vielfach unbewußt, in seinem Schaffen leitet. Nationalität, Klasse, Familie, engere und weitere Umwelt machen den Künstler nicht allein zu dem, was er ist, aber sie geben seiner Persönlichkeit die Prägung, und seine Anlagen sind in seiner Entwicklung wesentlich von diesen Faktoren abhängig. So erscheint uns ein Künstler nicht als ein über der Zeit und ihren sozialen Zuständen thronendes Wesen, sondern als rechtes Kind der Gegenwart, und je mehr er mit und in seiner Zeit lebt, um so mehr wird er uns zu künden haben von ihrem Leid, ihrer Freude, ihren Hoffnungen und ihren Idealen. Wohl gibt es Leute, die da meinen, die Mission des Künstlers sei es, uns hinwegzutäuschen über die Trübsale und Gewitterschauer der Gegenwart; das heißt aber, den Künstler zum Märchenerzähler zu machen, wohingegen er aber doch ein Lebenskünder sein soll. Das wäre eine Kunst für Hoffnungslose, mit der sich die Arbeiterklasse, die nicht nur auf ihre Befreiung mit aller Sehnsucht des Herzens hofft, sondern um sie entschlossen und tatkräftig ringt, nie befreunden wird. Darum darf auch nur der Künstler auf ihre vollste Sympathie rechnen, dessen Werk von ihrem Kampf, ihren Idealen redet. Zwar ist der Arbeiter schon seit langen Zeiten Gegenstand der Kunst geworden, und selbst in jenen Jahrhunderten, da die Arbeit gemeinhin als etwas Verächtliches angesehen wurde, was man den Sklaven überließ, ist sie wenigstens in der Kleinkunst dargestellt worden.

Ueber die Arbeit in der bildenden Kunst schreiben, hieße zugleich eine Geschichte der sozialen Wertung der Arbeit und des Arbeiters geben. Erst als der junge Riese Proletariat sich reckte und an seinen Ketten rüttelte, als die junge Arbeiterbewegung Sehnsucht und Forderung des Proletariats nach wirtschaftlicher, poitischer und geistiger Freiheit und Kulturanteilnahme zeigte, wurde der Arbeiter ein ernsthafter Gegenstand für die Kunst. Frankreich hatte schon in der Vergangenheit Künstler mit sozialistischem Einschlag. In den letzten 50 Jahren ist in allen Kulturländern der Arbeiter in der Kunst aufgetaucht, von wechselndem Standpunkte angeschaut, je nach sozialen und politischen Gesinnungen des Künstlers. In der Hauptsache war es die Außenseite des proletarischen Lebens, das die dem Klassenempfinden des Arbeiters fremd gegenüberstehenden Künstler reizte. Elend und Not, die ganze Tragik des Arbeiterschicksals, fanden ihre Darstellung. Die „Armeleutemalerei“ ward sogar modern, das heißt, eine Zeitlang Modesache, wie sie es in der Literatur auch war. Aber die herrschenden Klassen, die auch zugleich die Käufer auf dem Kunstmarkte sind, haben nicht viel Interesse für eine Kunst, die ihnen ans Herz greift, allerdings noch weniger für eine solche, die den Arbeiter als Kämpfer auffaßt, so sehr wir auch nach solchen Künstlern und Künstlerinnen ausschauen müssen. Schon ein Meunier, *) dessen Werke in der Hauptsache eine Verherrlichung der Arbeit sind, hatte schwer zu kämpfen, bis er seinen europäischen Ruf erwarb. Sein grandioses Denkmal der Arbeit aber, das er für Brüssel bestimmt hatte, harrt heute noch seiner Ausstellung, nachdem der verstorbene belgische König und seine klerikale Regierung ihren Einfluß geltend gemacht hatten, damit die Brüsseler Arbeiter beileibe nicht einen Mittelpunkt für ihre Demonstrationen erhielten; so kraß griff polititsche Gesinnung in künstlerische Fragen ein, ein deutlicher Gegenbeweis für die vielgerühmte Neutralität der herrschenden Klassen in Sachen der Kunst. In Deutschland gibt es wenig Künstler, die in das Seelenleben des Arbeiters eingedrungen sind, und wo es geschah, kam in dem Kunstwerk meist nur der kleinbürgerliche Standpunkt des Künstlers zum Ausdruck oder die Sentimentalität eines Menschenfreundes. Das zu sagen, ist keine Herabwürdigung dieser Kunstwerke, aber es muß gesagt werden, wenn man von einem Künstler spricht, der uns den Arbeiter als Vollmenschen schildert, als Kämpfer.

Fritz Zundel ist fast ein Unbekannter, auch für die Arbeiterschaft. Vor Jahren erschien im „Wahren Jakob“ die Wiedergabe eines Bildes, das im Stuttgarter Gewerkschaftshaus eine nicht eben günstige Stätte hat. Dann brachte die „Neue Welt“ ein Bild, das auch diesem Artikel beigegeben ist, das aber dort in der kleinen Wiedergabe nicht wirken konnte. Mancher Genosse, der das freundliche Heim der Genossin Klara Zetkin bei Stuttgart besuchte, machte wohl auch einen Besuch im Atelier ihres Gatten und sah dort, was der Künstler fernab vom Streit der Kunstrichtungen und ihren Lobern schuf, aber die große Oeffentlichkeit sah wenig von des Künstlers Werken, die allerdings auch wenig geeignet für die Salons der Kunstmäzene sind. Welcher Bourgeois möchte wohl das Bild des Arbeiters auf dieser Seite in seinen Gemächern haben? Diesen entschlossenen Ernst proletarischen Wollens kennt er von den Gesichtern „seiner“ Arbeiter her und haßt ihn. Oder er hat ihn bei demonstrierenden Proletarieren wahrgenommen und vielleicht insgeheim bewundert. Dieses Gemälde, das eine prächtige Zierde für die Versammlungsstätten der Arbeiter, für den Saal eines Gewerkschaftshauses sein würde, führt uns direkt zur Eigenart Zundels, sowohl der malerischen als der inhaltlichen. Hier hat der Künstler mit den einfachsten Mitteln das vollste Leben erreicht.

Was uns an seinen Werken zunächst am sympathischsten rührt, ist die absolute Sachlichkeit. Wir fühlen, hier ist einer, der in bewußtem Streben seine künstlerische Formel gefunden hat und über einen Fonds tüchtigen Könnens verfügt, der fortgeschritten ist von der Beherrschung der Natur und der körperlichen Formen zu ihrer Beseelung. Anatomisch sachlich und fein, treu bis in die Details stellt er uns den Menschen hin, verzichtet auf jede Stilisierung, Zurechtmachung für die inhaltlichen Zwecke, hinter welcher Stilisierung sich doch vielfach nur zeichnerische Unfähigkeit verbirgt. Und doch, welche Fülle in der Beschränkung! Es ist ein Moment der Ruhe, in dem wir den Mann sehen, aber eine Pause der erwartungsvollen Ruhe. Die wie zum Schritt gestellten Beine werden im nächsten Augenblick den Körper vorwärts tragen. Die eingeballte Rechte zeugt von einer Willensanstrengung und die in der Tasche versenkte linke Hand schwächt den Eindruck nicht ab, sondern verstärkt ihn noch. Sie bezeugt uns vielmehr das feine künstlerische Empfinden Zundels. Durch das Verstecken dieser Hand ist alles vermieden, was nach Kraftprotzerei aussehen würde, obwohl wir noch durch die Kleidung erkennen, daß diese Hand von dem gleichen Impuls erregt ist, wie die rechte. Den geschlossensten Ausdruck, gleichsam die Kristallisation des Gedankeninhalts erreicht aber der Künstler im Gesichtsausdruck. Die knochigen, harten Züge sind durchglüht und verschönt von dem Willen, und das Auge blickt fest in proletarischem Trotz, der sich auch kühn auf der Stirn wölbt. Das ist echte Kunst, und ich kenne kein Werk der Malerei, das den klassenbewußten Arbeiter so restlos verkörpert.

Von anderer Art, aber nicht minder reich an küntlerischem Leben, blickt uns der jugendliche Fabrikarbeiter auf dieser Seite entgegen und lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, obwohl ihn keine Gebärde auszeichnet. Nur das seelenvolle Auge fesselt den Beschauer, spricht ihn an, leiebnswürdig fragend, bis er gebannt ist von dem persönlichen Sein, von dem das ganze Gesicht zeugt. Ein Lächeln, das nicht ganz ohne leise Ironie ist, schwebt um den vollen Mund. Das Licht, welches auf die rechte Gesichtshälfte fällt, hebt und verstärkt den freundlichen Ausdruck. Man muß den Kerl lieb haben! Und wie gelassen er dasteht mit der charakteristischen Haltung des durch die Arbeit schon leicht gekrümmten Körpers! Eine künstlerisch geläuterte Realistik geht durch das ganze Bild und erstreckt sich nicht nur auf das zeichnerische, sondern auch das koloristische Element, von dem die Schwarz-Weiß-Reproduktion leider keinen Begriff geben kann. Der blaue Anzug mit den dunklen Oelflecken ist malerisch ausgezeichnet gelungen.

Schon in den beiden Gemälden strebt Zundel ins Großzügige, bevorzugt er die kraftvolle Linie, und der Feldarbeiter mit der Hacke bedeutet nach dieser Richtung eine Entwicklung ins Dekorative, inhaltlich aber einen Fortschritt von der Porträtmalerei zur landschaftlichen. Hier hat er den Menschen in Einklang mit der umgebenden Natur gebracht. Das vordrängende charakteristische Merkmal dieses Bildes ist die Stimmungsschwere, die sowohl in der Gestalt des Landarbeiters als auch noch mehr auf dem Acker und den wolkenbezogenen Himmel liegt. Diese einheitliche Grundstimmung ist auf der Reproduktion um einige Grade düsterer als auf dem Original

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