Leipziger Volkszeitung
DIe Geschichte eines Malers
Es ist unstreitig wahr, und Lessing hat darin recht, wenn er behauptet, der Kritiker müsse bei der Beurteilung eines Kunstwerkes völlig von der Persönlichkeit des Künstlers absehen und nur das Werk auf sich wirken lassen. Doch werk du Persönlichkeit sind in manchen Fällen schwer voneinander zu trennen, und besonders schwer, wo es sich um eine starke und eigenartige Persönlichkeit handelt, die sich in Ihrem Werk wiederspiegelt. Auch im vorliegenden Fall muss ich, wenn ich den Werken Zundels gerecht werden soll, kurz auf die Persönlichkeit des Malers eingehen.
Friedrich Zundel ist gegenwärtig erst zweiundzwanzig Jahre alt und ist das, was er geworden ist, aus sich selbst und aus eigener Kraft geworden. Der junge Künstler hatte, obgleich sein Vater nicht unvermögend, ja sogar wohlhabend sein soll, eine harte, kamp- und arbeitsreiche Jugend durchzumachen. Es ist ihm nicht zu bequem gemacht worden, ein Maler zu werden, wie anderen jungen Leuten, die, wenn sie Talent haben, auf die Akademie geschickt werden und sich dort nach Herzenslust ausbilden und sorgenfrei ihren Studien leben können. Teilt doch sein Vater auch heute noch die in bürgerlichen Kreisen weit verbreitete Ansicht, der Künstler sei an und für sich ein Faulenzer und Tagedieb, und auch sein Sohn Friedel male nur deshalb – weil er nicht arbeiten wolle. Der Herr Papa mag sich beruhigen: ein junger Mann, der mit zweiundzwanzig Jahren trotz aller Hindernisse das kann, was Zundel schon heute leistet, der Arbeitet fleißig, und hat fleißig gearbeitet.
Bei der großen Abneigung des Vaters gegen den Künstlerberuf wurde der heiße Wunsch des Knaben, Maler zu werden, natürlich nicht berücksichtigt, und der junge Zundel kam im Alter von dreizehn Jahren zu einem – Maurermeister in die Lehre. Doch durfte er diese Lehrstelle bald mit einer anderen bei einem Dekorationsmaler vertauschen, wo er wenigstens mit Pinsel und Farbe hantieren konnte. Mit sechzehn Jahren hatte er die Lehrzeit beendet und ging als Handwerksbusche „auf die Walze“. In Frankfurt fand er lohnende Beschäftigung, da sich herausstellte, daß der junge Stubenrafael nicht nur nach Schablonen zu pinseln, sondern auch eigene gute ornamentale Muster zu erfinden verstand, die er hauptsächlich aus Pflanzenformen ableitete. Als Stubenmahlergehilfe hat er sich dann nach und nach die Mittel zusammengespart und am eigenen Munde abgedarbt, die es ihm ermöglichten, eine zu Akademie zu besuchen. Einige Kunstmaler von Ruf, mit denen der junge Zundel durch Zufall bekannt geworden war suchten in nach Kräften zu fördern. Er erhielt auch ein kleines Stipendium, doch hat er sich in Karlsruhe und später in Stuttgart hauptsächlich auf eigene Faust und durch eigene Arbeit durchgeschlagen.
Seine Professoren waren ihm anfänglich wohlwollend gesinnt, aber ein junger Mensch, der sich unter solchen Umständen zur Kunst durchringen musste, ist kein so lehrsamer Schüler, wie ein Akademiker gewöhnlichen Schlages. Der junge Zundel hatte sich im harten Lebenskampfe über manche Dinge seine eigenen Ansichten gebildet, die nicht immer mit denjenigen seiner Lehrer übereinstimmen mochten. Und da er seine Meinungen stets sehr offen und frei aussprach und als echter Schwabe mit einer gewissen Starrköpfigkeit auf seinen Ansichten beharrte, so geriet er in ein gespanntes Verhältnis zu seinen Lehrern und Freunden das zur Folge hatte, daß Ihn mit der [Pr…] auch die Aufträge entzogen wurden, mit denen er sein Leben fristete und die Mittel zum weiteren Studium aufbrachte. Viel schadete ihm seine offen eingestandene sozialdemokratische Gesinnung, noch mehr vielleicht die Hartnäckigkeit, mit der er als Künstler seine eigenen Wege gehen wollte. So geriet Zundel wiederum in bittere Not. Aber sein eiserner Wille blieb ungebrochen, er raffte sich wieder auf. und hoffentlich wird er sich zur vollen Künstlerschaft durchringen.
Ich bin näher auf die Verhältnisse des jungen Künstlers eingegangen, nicht weil es sich um einen Sozialdemokraten handelt – denn man kann ein sehr guter Sozialdemokrat und dabei ein miserabler Fabenklexer sein; und als Kunstkritiker habe ich mit der politischen Gesinnung der Künstler absolut nichts zu schaffen – sondern weil mir Zundels Bilder zeigten, daß wir in dem jungen Künstler ein starkes, sich mühsam und unter ernsthaften kämpfen zum Licht emporringendes Talent vor uns haben, das in jeder Beziehung des wärmenden Sonnenstrahles bedarf, wenn es nicht verkümmern soll. Zudem bilden Zundels Jugendschicksale die beste Erklärung für die ihm als Maler noch anhaftenden Fehler und Härten, die den Beschauer seiner Bilder vielleicht zuerst abstoßen und ihn von einem genauen Eingehen auf seine Arbeiten abschrecken könnten.
Zundels Bilder – es sind drei männliche, ein weibliches Porträt und drei Genrebilder düsteren Charakters – haben alle noch etwas Unfertiges in koloristischer wie in zeichnerischer Beziehung. Seine Bildnisse heben sich alle von einem dunklen einfachen Hintergrunde in scharfer, Rembrandtartiger Beleuchtung ab. So erinnert seine Manier etwas an Lebach. Auf den Porträts sind die dunklen Farbtöne nicht übel ineinander gearbeitet, besonders der grünliche oder bräunliche Hintergrund ist gut zu dem Ganzen abgestimmt, aber die Gestalt selbst ist noch nicht immer genügend aus dem Schatten herausmodelliert. Auch zeichnerische Mängel machen sich geltend. So ist auf dem einen Bild eines jungen Mannes die Hand mit der Zigarre zu steif, der Mund unschön und auch etwas widernatürlich einseitig verzogen. Auf dem anderen Bilde eines jugendlichen Mannes ist der Kopf besser geraten, aber die nach der Seite geneigte Haltung etwas steif. Sehr gut und lebendig ist der Gesichtsausdruck auf dem Porträt einer älteren Dame, aber die Arme sind verzeichnet, zu kurz geraten, der linke Ellbogen unmöglich verkürzt. Auf dem nicht nach dem Leben sondern, nach einer Photographie gemalten Porträt von Karl Marx ist der Kopf zu klein und zu unbedeutend, zu leblos, auch koloristisch zu uninteressant. Zundel sollte diese etwas schwache Arbeit besser nicht mit seinen übrigen Sachen ausstellen.
Unter seinen Genrebildern bildet Ein Notschrei den kräftigsten Wurf. Eine abgezehrte, halbverhungerte Gestalt krampft sich auf ärmlichem Lager empor und macht ihrem Schmerz durch einen wilden Schrei Luft. Die Auffassung des Ganzen ist groß und kräftig, in einfachen Zügen dargestellt. Hier fühlt man die Kraft und die Leidenschaftlichkeit, das Temperament des jungen Malers. Doch würde die Wirkung bedeutender sein, wenn die Raumverteilung auf der großen Leinwand besser abgewogen wäre. Auch die Beleuchtung – ein hinter der Stuhllehne verstecktes Lichstümpchen scheint die Scene zu beleuchten – ist etwas gekünstelt. Weniger bedeutend ist ein anderes Genrebild, das ein ähnlich durch ein verstecktes Licht beleuchtetes in schmerzliches Gebet kniendes junges Weib mit entblößtem Oberkörper zeigt.
Das anmutigste Bild ist die Spinnerin: ein junges Mädchen in einfachem braunem Gewand sitzt in schmerzgebeugter Haltung vor einem Spinnrad in ärmlichem, nur durch ein kleines mit ein paar Blumenstöcken geschmücktes Fenster angedeutetem Gemach. Es ist eine Art modern aufgefaßtes „Gretchen am Spinnrad“. Hie zeugen die Haltung der Figur und der Gesichtsausdruck von dem schönen Talent des Künstlers, wenn auch die Falten des Gewandes noch etwas steif gemalt sind. Die düstere Farbenstimmung ist gut. Die Komposition ist noch ein wenig konventionell, das Bild erscheint noch etwas „gestellt“, noch nicht frei genug, aber das Ganze ist von bedeutender Wirkung.
Es ist noch viel jugendlicher Sturm und Drang in Zundels Bildern. Das leidenschaftliche Temperament des Malers zeigt sich an den breiten, kräftigen und manchmal etwas harten Pinselstrichen. Er geht überall auf das Ganze, für das Kleine und Nebensächliche hat er kein Auge. Hat er seinen Vorwurf erfasst, so tüftelt und grübelt er nicht mehr lange: die innere Glut lässt ihm keine Ruhe, sich in die Details zu vertiefen. Gerade dieser jugendliche Feuereifer, dieses Drauflosgehen wirkt aber sehr sympathisch.
Wir haben einen Künstler vor uns, der etwas sagen will und der, weil er es in seiner eigenen Weise sagen will, auch etwas zu sagen hat. Aber er wird noch viel kämpfen müssen, nicht nur mit den Widerwärtigkeiten des Lebens, sondern mit sich selber; er wird die dumpfe Stickluft der engen Räume verlassen müssen, und hinausgehen ins lebendige Tageslicht, in die Sonne, die frohere Farben weckt. Daß ihm dies ermöglicht werde, daß ihm auch seinem Lebenspfade eine frohere Sonne scheine, das wünschen wir ihm von ganzem Herzen. Dann kann er vielleicht auch aus der Nacht seiner jetzigen künstlichen und gekünstelten Beleuchtung zum wahren Lichte emportauchen und aus einem noch allzustark nach rückwärts blickenden Schwarzmaler ein freier, großer, lichter Zukunftsmaler werden.
Guido.