Georg Friedrich Zundel

Leipziger Volkszeitung

09.04.1898

Friedrich Zundel
DIe Geschichte eines Malers

Im Leipziger Kunstverein ist gegenwärtig
eine Anzahl Bilder des jungen Stuttgarter Malers Friedrich Zundels ausgestellt,
die durch eine strake persönliche Note auffallen und manches unvergorenen und
unreifen Zuges ein starkes und eigenartiges Talent verraten, dass nur noch
ruhiger Pflege und vielleicht auch einer liebvollen und verständigen Pflege
bedarf, um zur vollen Reife zu gelangen.

Es ist unstreitig wahr, und Lessing hat
darin recht, wenn er behauptet, der Kritiker müsse bei der Beurteilung eines
Kunstwerkes völlig von der Persönlichkeit des Künstlers absehen und nur das
Werk auf sich wirken lassen. Doch werk du Persönlichkeit sind in manchen Fällen
schwer voneinander zu trennen, und besonders schwer, wo es sich um eine starke
und eigenartige Persönlichkeit handelt, die sich in Ihrem Werk wiederspiegelt.
Auch im vorliegenden Fall muss ich, wenn ich den Werken Zundels gerecht werden
soll, kurz auf die Persönlichkeit des Malers eingehen.



Friedrich Zundel ist gegenwärtig erst
zweiundzwanzig Jahre alt und ist das, was er geworden ist, aus sich selbst und
aus eigener Kraft geworden. Der junge Künstler hatte, obgleich sein Vater nicht
unvermögend, ja sogar wohlhabend sein soll, eine harte, kamp- und arbeitsreiche
Jugend durchzumachen. Es ist ihm nicht zu bequem gemacht worden, ein Maler zu
werden, wie anderen jungen Leuten, die, wenn sie Talent haben, auf die Akademie
geschickt werden und sich dort nach Herzenslust ausbilden und sorgenfrei ihren
Studien leben können. Teilt doch sein Vater auch heute noch die in bürgerlichen
Kreisen weit verbreitete Ansicht, der Künstler sei an und für sich ein
Faulenzer und Tagedieb, und auch sein Sohn Friedel male nur deshalb – weil er
nicht arbeiten wolle. Der Herr Papa mag sich beruhigen: ein junger Mann, der
mit zweiundzwanzig Jahren trotz aller Hindernisse das kann, was Zundel schon
heute leistet, der Arbeitet fleißig, und hat fleißig gearbeitet.



Bei der großen Abneigung des Vaters gegen
den Künstlerberuf wurde der heiße Wunsch des Knaben, Maler zu werden, natürlich
nicht berücksichtigt, und der junge Zundel kam im Alter von dreizehn Jahren zu
einem – Maurermeister in die Lehre. Doch durfte er diese Lehrstelle bald mit
einer anderen bei einem Dekorationsmaler vertauschen, wo er wenigstens mit
Pinsel und Farbe hantieren konnte. Mit sechzehn Jahren hatte er die Lehrzeit
beendet und ging als Handwerksbusche „auf die Walze“. In Frankfurt fand er
lohnende Beschäftigung, da sich herausstellte, daß der junge Stubenrafael nicht
nur nach Schablonen zu pinseln, sondern auch eigene gute ornamentale Muster zu
erfinden verstand, die er hauptsächlich aus Pflanzenformen ableitete. Als
Stubenmahlergehilfe hat er sich dann nach und nach die Mittel zusammengespart
und am eigenen Munde abgedarbt, die es ihm ermöglichten, eine zu Akademie zu
besuchen. Einige Kunstmaler von Ruf, mit denen der junge Zundel durch Zufall
bekannt geworden war suchten in nach Kräften zu fördern. Er erhielt auch ein
kleines Stipendium, doch hat er sich in Karlsruhe und später in Stuttgart
hauptsächlich auf eigene Faust und durch eigene Arbeit durchgeschlagen.



Seine Professoren waren ihm anfänglich
wohlwollend gesinnt, aber ein junger Mensch, der sich unter solchen Umständen
zur Kunst durchringen musste, ist kein so lehrsamer Schüler, wie ein Akademiker
gewöhnlichen Schlages. Der junge Zundel hatte sich im harten Lebenskampfe über
manche Dinge seine eigenen Ansichten gebildet, die nicht immer mit denjenigen
seiner Lehrer übereinstimmen mochten. Und da er seine Meinungen stets sehr
offen und frei aussprach und als echter Schwabe mit einer gewissen
Starrköpfigkeit auf seinen Ansichten beharrte, so geriet er in ein gespanntes
Verhältnis zu seinen Lehrern und Freunden das zur Folge hatte, daß Ihn mit der [Pr…]
auch die Aufträge entzogen wurden, mit denen er sein Leben fristete und die
Mittel zum weiteren Studium aufbrachte. Viel schadete ihm seine offen eingestandene
sozialdemokratische Gesinnung, noch mehr vielleicht die Hartnäckigkeit, mit der
er als Künstler seine eigenen Wege gehen wollte. So geriet Zundel wiederum in
bittere Not. Aber sein eiserner Wille blieb ungebrochen, er raffte sich wieder
auf. und hoffentlich wird er sich zur vollen Künstlerschaft durchringen.



Ich bin näher auf die Verhältnisse des
jungen Künstlers eingegangen, nicht weil es sich um einen Sozialdemokraten
handelt – denn man kann ein sehr guter Sozialdemokrat und dabei ein miserabler Fabenklexer
sein; und als Kunstkritiker habe ich mit der politischen Gesinnung der Künstler
absolut nichts zu schaffen – sondern weil mir Zundels Bilder zeigten, daß wir
in dem jungen Künstler ein starkes, sich mühsam und unter ernsthaften kämpfen
zum Licht emporringendes Talent vor uns haben, das in jeder Beziehung des
wärmenden Sonnenstrahles bedarf, wenn es nicht verkümmern soll. Zudem bilden
Zundels Jugendschicksale die beste Erklärung für die ihm als Maler noch
anhaftenden Fehler und Härten, die den Beschauer seiner Bilder vielleicht
zuerst abstoßen und ihn von einem genauen Eingehen auf seine Arbeiten
abschrecken könnten.



Zundels Bilder – es sind drei männliche, ein
weibliches Porträt und drei Genrebilder düsteren Charakters – haben alle noch
etwas Unfertiges in koloristischer wie in zeichnerischer Beziehung. Seine
Bildnisse heben sich alle von einem dunklen einfachen Hintergrunde in scharfer,
Rembrandtartiger Beleuchtung ab. So erinnert seine Manier etwas an Lebach. Auf
den Porträts sind die dunklen Farbtöne nicht übel ineinander gearbeitet,
besonders der grünliche oder bräunliche Hintergrund ist gut zu dem Ganzen
abgestimmt, aber die Gestalt selbst ist noch nicht immer genügend aus dem
Schatten herausmodelliert. Auch zeichnerische Mängel machen sich geltend. So
ist auf dem einen Bild eines jungen Mannes die Hand mit der Zigarre zu steif,
der Mund unschön und auch etwas widernatürlich einseitig verzogen. Auf dem anderen
Bilde eines jugendlichen Mannes ist der Kopf besser geraten, aber die nach der
Seite geneigte Haltung etwas steif. Sehr gut und lebendig ist der
Gesichtsausdruck auf dem Porträt einer älteren Dame, aber die Arme sind
verzeichnet, zu kurz geraten, der linke Ellbogen unmöglich verkürzt. Auf dem
nicht nach dem Leben sondern, nach einer Photographie gemalten Porträt von Karl
Marx ist der Kopf zu klein und zu unbedeutend, zu leblos, auch koloristisch zu
uninteressant. Zundel sollte diese etwas schwache Arbeit besser nicht mit
seinen übrigen Sachen ausstellen.



Unter seinen Genrebildern bildet Ein
Notschrei den kräftigsten Wurf. Eine abgezehrte, halbverhungerte Gestalt
krampft sich auf ärmlichem Lager empor und macht ihrem Schmerz durch einen
wilden Schrei Luft. Die Auffassung des Ganzen ist groß und kräftig, in
einfachen Zügen dargestellt. Hier fühlt man die Kraft und die
Leidenschaftlichkeit, das Temperament des jungen Malers. Doch würde die Wirkung
bedeutender sein, wenn die Raumverteilung auf der großen Leinwand besser
abgewogen wäre. Auch die Beleuchtung – ein hinter der Stuhllehne verstecktes Lichstümpchen
scheint die Scene zu beleuchten – ist etwas gekünstelt. Weniger bedeutend ist
ein anderes Genrebild, das ein ähnlich durch ein verstecktes Licht beleuchtetes
in schmerzliches Gebet kniendes junges Weib mit entblößtem Oberkörper zeigt.



Das anmutigste Bild ist die Spinnerin: ein
junges Mädchen in einfachem braunem Gewand sitzt in schmerzgebeugter Haltung
vor einem Spinnrad in ärmlichem, nur durch ein kleines mit ein paar
Blumenstöcken geschmücktes Fenster angedeutetem Gemach. Es ist eine Art modern
aufgefaßtes „Gretchen am Spinnrad“. Hie zeugen die Haltung der Figur und der
Gesichtsausdruck von dem schönen Talent des Künstlers, wenn auch die Falten des
Gewandes noch etwas steif gemalt sind. Die düstere Farbenstimmung ist gut. Die
Komposition ist noch ein wenig konventionell, das Bild erscheint noch etwas
„gestellt“, noch nicht frei genug, aber das Ganze ist von bedeutender Wirkung.



Es ist noch viel jugendlicher Sturm und
Drang in Zundels Bildern. Das leidenschaftliche Temperament des Malers zeigt
sich an den breiten, kräftigen und manchmal etwas harten Pinselstrichen. Er
geht überall auf das Ganze, für das Kleine und Nebensächliche hat er kein Auge.
Hat er seinen Vorwurf erfasst, so tüftelt und grübelt er nicht mehr lange: die
innere Glut lässt ihm keine Ruhe, sich in die Details zu vertiefen. Gerade
dieser jugendliche Feuereifer, dieses Drauflosgehen wirkt aber sehr
sympathisch.



Wir haben einen Künstler vor uns, der etwas
sagen will und der, weil er es in seiner eigenen Weise sagen will, auch etwas
zu sagen hat. Aber er wird noch viel kämpfen müssen, nicht nur mit den
Widerwärtigkeiten des Lebens, sondern mit sich selber; er wird die dumpfe
Stickluft der engen Räume verlassen müssen, und hinausgehen ins lebendige
Tageslicht, in die Sonne, die frohere Farben weckt. Daß ihm dies ermöglicht
werde, daß ihm auch seinem Lebenspfade eine frohere Sonne scheine, das wünschen
wir ihm von ganzem Herzen. Dann kann er vielleicht auch aus der Nacht seiner
jetzigen künstlichen und gekünstelten Beleuchtung zum wahren Lichte
emportauchen und aus einem noch allzustark nach rückwärts blickenden
Schwarzmaler ein freier, großer, lichter Zukunftsmaler werden.



Guido.

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